In 9 Minuten überzeugen? Klar!


Meine persönliche Lieblingsrubrik sind die Kurzfilme der Berlinale. Denn Kurzfilme sind etwas ganz Besonderes. Man sitzt zwar ungefähr 110 Minuten im Kino, fühlt sich allerdings an keiner Stelle gelangweilt. Die Berlinaleshorts sind immer abwechslungsreich und voll von künstlerischer Dramaturgie. Selbst wenn man sich nicht für jeden Film begeistern kann, ist trotzdem von sieben Filmen für jeden etwas dabei, wovon man sich gefesselt oder berührt fühlt.

Ich bin jedes Mal beeindruckt, wie sehr kurze Clips von 9-15 min. überzeugen können, wie schnell man sich in die Handlung einfinden kann. Da die Filmzeit eben so kurz ist, muss ein spannender, außergewöhnlicher Handlungsstrang porträtiert werden.
Die Mischung des Programms „Kurzfilme 1“ (14+) halte ich für äußerst gelungen, da Animationen, dokumentarische Elemente und surrealistische Geschichten enthalten waren.
Die meisten Kurzfilme lassen das Publikum im Unwissen sitzen. Oft wagt man zu bezweifeln, was genau man eigentlich gerade gesehen hat.

Zum Beispiel steht bei dem russischen Film „Moloko“ (Milk) aus heiterem Himmel mitten in der Küche eine Kuh. Die Familie, die wie aus einem Ikeakatalog geschnitten scheint, ist komplett in weiß gekleidet und weiß nicht damit umzugehen. Die Personen scheinen unmenschlich und surreal zu sein. Sie wirken fast wie Menschen, denen künstliche Intelligenz hinzugefügt wurde. Selbst die Wohnung sieht extrem steril und ungemütlich aus, dass einen ein sehr seltsames Gefühl beschleicht.
Plötzlich beschließt der Großvater, die Kuh zu erschießen. An dem Fenster mit Aufsicht auf die Skyline, wie man es aus den typischen modernen New Yorker Häuser kennt, klebt das Blut der Kuh.

90% des Publikums denkt sich wahrscheinlich: „Ernsthaft, was ist das denn für ein Quatsch gewesen? Auf so eine Story wäre ich auch gekommen.“, was nachzuvollziehen ist.
Ich allerdings fand die Idee genial. Man könnte es mit moderner Kunst vergleichen. Auf abstrakten Gemälden ist oft nur ein Farbklecks zusehen, trotzdem hast du die Idee nicht als einer der Ersten umgesetzt. Die Darstellung der Familie war außerordentlich. Kinder und Erwachsene sitzen so unnatürlich wie es geht auf dem Sofa, dessen Farbe genau auf die der Wand abgestimmt ist. streng gekleidet ohne einen einzigen Fleck auf den Kleidern, ist keine Spur von Emotionen zu erkennen. Dieser Familie wurde komplett die Menschlichkeit abgesprochen, was eventuell auf die Veränderung innerhalb unserer Gesellschaft anspielen könnte.

Innerhalb dieser paar Minuten probieren die Regisseure wie verrückt Alles zu geben, weswegen sie z.B. aufmerksamkeitsgestörte Kinder durch ein Fenster springen lassen („Libélula“), um gehört zu werden. Dadurch bleiben Kurzfilme spannend und sind besonders ausdrucksstark.

Auch die Animation „Snip“ aus Kanada überzeugte mich mit ihrer vielschichtigen Geschichte. Liebevoll zusammen gebastelte Figuren aus Zeitungspapier tanzen durch gefaltete dreidimensionale Bücherseiten. Dabei tauchen sie in verschiedene Welten ein, in der das kanadische System der Residential Schools mit Hilfe von unsichtbaren Dämonen heftig kritisiert wird.

Sehr bewegend fand ich „Wolfe“, in der ein Mensch von seiner krankhaften Störung berichtet, Panikattacken zu kriegen und die Stimme eines Wolfes zu hören. Die Person erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen, die unter anderem zwei Selbstmordversuche beinhalten. Untermalt werden seine Erzählungen von schlichten Animationen.

Alles in allem hat mich das Kurzfilmeprogramm nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil, ich gehe mit einem Gefühl aus dem Kino, alle transportierten Stimmungen gut aufgefangen zu haben.
16.02.17, Eva Swiderski

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