"Hier gibt es tausend Bäume und du willst noch einen pflanzen?"


- Kritik zu Primero Enero

Ruhige Dialoge, stille Landschaften und ganz viel Zuneigung. Valentino und sein Vater verbringen die Ferien im kleinen Haus der Familie. Die Mutter bleibt zuhause. Also ist es an Vater und Sohn, die traditionsreichen Ausflüge der Familie gemeinsam durchzuführen. Einen Baum fällen, ein Schaf schlachten, auf den Berg steigen. Nur der kleine Vale hinterfragt die alten Traditionen.

In sehr ruhiger Atmosphäre beobachten wir, wie sich die Beziehung der beiden langsam entfaltet. Sie haben sich lieb, wissen aber noch nicht genau, wie sie mit dem jeweils anderen umgehen sollen. Also tasten sie sich langsam an einen gemeinsamen Umgangston heran, setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen und bringen ihre Gefühle erst mit der Zeit zum Ausdruck. Dies wird durch die langen wortlosen Szenen besonders schön untermalt. Dass in diesem Urlaub weniger der Dialog als vielmehr das Beisammensein im Vordergrund steht, wird dadurch schnell klar.

Behutsam wird aus der Sicht eines Kindes mit getrennten Eltern gezeigt, wie es sich als solches anfühlt, denn Valentino wünscht sich nichts sehnlicher, als dass seine Eltern wieder zueinander finden. Sowohl Vater als auch Sohn reagieren auf das Thema „Mama“ empfindlich, werden entweder laut oder traurig. Dabei ist es letztendlich genau das, was sie beide allein an diesen Ort treibt.

Eine für mich sehr wichtige Szene führt vor Augen, was tagtäglich überall auf der Welt geschieht: bei der Schlachtung des Lamms geht nicht umsonst ein Raunen und entsetztes Kindergeschrei durch den Saal. Fast unaufdringlich und im Ausschnitt eines Films, der von etwas ganz anderem handelt, macht diese Szene einfach nur klar - so kommt ihr an euer Fleisch. Daran ist nichts Schönes. Es ist der blanke Tod. Der Regisseur gibt sogar zu, dass sie für den Film ein echtes Lamm geschlachtet haben. Ich konnte gar nicht laut genug klatschen, trotz des zusätzlichen toten Schafes, das auf das Konto der Menschen geht. Wir brauchen viel mehr Filme dieser Art, die den wirklich wichtigen Themen dadurch ein Sprachrohr verschaffen, dass sie sie beinahe beiläufig in Filme mit anderem Schwerpunkt einbauen.

Auch bei dieser Szene wird deutlich, dass Vale nicht allzu viel von der blinden Befolgung der Traditionen hält. Eine schöne Message an die Kinder, nicht immer einfach nur zur tun, was die Erwachsenen einem auftragen, und auch ab und zu die Dinge zu hinterfragen.

Alles in allem ein ruhiger, aber wirklich sehenswerter Film, der die zärtliche Beziehung zwischen Vater und Sohn beschreibt, die sich mit realistischen Höhen und Tiefen auf der Leinwand entfaltet.

15.02.2017, Johanna Gosten

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